Damals, als es noch Riesen und Hexen gab und es die Menschen noch verstanden, den Stimmen des Windes und der Tiere zu lauschen, da lebte hoch oben im Wilden Kaiser das Koasamandl. Halb Mensch, halb Kobold war es dafür bestraft worden, einer armen Bauernmagd das Herz gebrochen zu haben.
Hunderte Jahre hauste das Koasamandl schon in einer Höhle im Kaisergebirge. Seine einzige Gesellschaft waren wilde Bergtiere, die zutraulich zu ihm kamen und ihre Nasen an seiner abgewetzten Lederhose rieben. Eines Morgens aber fand das Koasamandl einen neuen Freund: Der Kaiserzwerg stand im Eingang seiner Höhle und musterte ihn von oben bis unten.
„I hob ma denkt, i schau amoi, wia’s da geht, da herom.“
Der Kaiserzwerg selbst lebte schon seit Urzeiten in den Falten des Gebirges und war ebenso wie das Koasamandl dessen Wächter. Gemeinsam spielten sie schießwütigen Wilderern Streiche, stellten ihnen ein Haxl oder warfen den Rucksack, den einer während einer Jause abgestellt hatte, in eine Schlucht. So mancher nahm daraufhin panisch Reißaus und setzte nie wieder einen Fuß auf den Wilden Kaiser.
Das Koasamandl merkte zu seinem eigenen Erstaunen, dass es hier oben in seinem „Kaiserreich“ glücklich war. Und wenn ihm vor lauter Wonne das Herz überlief, stieß es einen lauten Juchizer aus. Im Tal warfen sich die Bauersleute dann vielsagende Blicke zu und fühlten sich insgeheim beschützt vom guten Geist ihres Gebirges.
Der höchste Gipfel des Wilden Kaisers
An einem Spätsommertag trug es sich zu, dass drei Männer von der Wochenbrunner Alm aus eine Bergtour auf die Ellmauer Halt unternahmen, den höchsten Gipfel im Wilden Kaiser. Bergerfahren stiegen sie zügig voran, doch kurz nachdem sie die Gruttenhütte hinter sich gelassen hatten, verdüsterte sich der Himmel und Gewitterwolken brauten sich über ihren Köpfen zusammen. Sie hatten das große Schotterkar Hochgrubach beinahe durchschritten, als sie dumpfes Donnergrollen hörten. Es näherte sich rasch und über dem Inntal zuckten schon die ersten Blitze. Panik ergriff zwei der Bergkameraden und sie drängten zur Umkehr.
„Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch zurück zur Gruttenhütte, bevor das richtige Unwetter hereinbricht“, riefen sie ihrem Freund Toni zu, der unbeirrt weiter hinaufstapfte. „Das verzieht sich wieder, so schnell wie es gekommen ist“, gab der zurück, „ich will heute noch auf den Gipfel.“ Seine Kameraden schauten ihm verständnislos nach, drehten um und stolperten über das Geröll den Berg hinunter.
„Von wegen Gipfelstürmer“, schnaufte der Toni verächtlich, während er sich weiter hinaufkämpfte über die Gesteinsbänder, die nun im ersten Regen gefährlich glatt wurden. Er spürte, wie seine Tritte unsicher wurden, während sich über ihm ein gewaltiger Donner entlud und die Wolken mit einem Mal ihr Wasser wie aus Kübeln auf ihn niederschütteten.
„Durchhalten“, sprach er sich selbst Mut zu, „bald ist es geschafft.“
Kein Zurück
In dem Moment blendete ihn ein greller Blitz, gefolgt von einem Steinschlag, der sich aus der Roten Rinne über ihm löste. Toni warf die Arme in die Luft, verlor den Halt, rutschte aus und fiel. Doch wie aus dem Nichts packte jemand seine Hand und riss ihn hoch! Ja, hoch - nicht hinunter!
Toni wusste nicht, ob er fantasierte oder schon tot war, aber über sich sah er schemenhaft ein bärtiges Gesicht mit einem Filzhut und spürte, wie er mit einem kräftigen Ruck hinaufkatapultiert wurde und auf der Steinscharte der Rinne zu liegen kam.
„Host glaubt, du kannst di mit dem Koasa und dem Himmel spiel’n, ha?“ stieß das Koasamandl ärgerlich zwischen den Zähnen hervor. „Ddddanke“, mehr brachte der Toni nicht hervor, noch immer geschockt und vor Kälte und Nässe schlotternd. „Jetz miaß ma uns gschleinen, dass ma in die Hütt’n kemmand, bevor’s richtig ungmiatlich werd,“ zischte das Koasamandl und fing an, die sogenannte Jägerwand hinaufzuklettern. Toni rappelte sich auf die Füße und stieg ihm nach.
Einkehr mit Zwerg und Mandl
Kurz unterhalb des Gipfels der Ellmauer Halt klebt die Babenstuber Hütte* am Fels wie eine Biwakschachtel und zu seiner großen Überraschung sah Toni, dass in dem kleinen Fenster ein Licht brannte. Als das Koasamandl schon den Griff der kleinen Holztür in der Hand hatte, erschauderte die Hütte in einem gigantischen Wetterleuchten, als am Gipfel laut der Blitz einschlug. Ganz so, als wollte der Herrgott dem Toni noch einmal deutlich einbläuen, dass mit dem Schicksal, dem Berg und dem Wetter nicht zu spaßen war.
Mit einem großen Satz sprang der völlig durchnässte Wanderer hinter dem Koasamandl ins Innere der Babenstuber Hütte, wo der Kaiserzwerg geschäftig auf der rotweißkarierten Tischdecke herumlief und Speck, Bauernbrot und eine Schnapsflasche hinstellte. Während die Drei sich in der Hütte mit der Jause stärkten und mit Schnaps-Stamperln zuprosteten, rüttelte der Sturm an der Hütte und pfiff um Gipfel und durch Felskamine. Auf einmal war es ganz still, der Sturm hatte sich so plötzlich gelegt, wie er gekommen war.
Als das Koasamandl, der Kaiserzwerg und der Toni beim Fenster hinauslugten, blitzten ihnen doch tatsächlich Sonnenstrahlen entgegen! Sie traten vor die Hütte und genossen den Ausblick auf die Landschaft - alles sah wie frisch gewaschen aus. Mit wenigen Schritten und Sprüngen gelangten sie doch noch auf den Gipfel der Ellmauer Halt, wo sie ein wunderbarer Regenbogen empfing.
Nun war es aber Zeit, an den Abstieg zu denken, die Sonne senkte sich schon im Westen und tauchte die Kaisergipfel in ein magisches orangeschimmerndes Licht. Koasamandl und Kaiserzwerg begleiteten den Toni bis kurz vor die Gruttenhütte, dann hoben sie die Hand zum Gruß und verschwanden in einer Almsenke.
Die Heimkehr
Toni rieb sich die Augen und fragte sich, ob er das alles vielleicht geträumt hatte. Doch dann sah er das Edelweiß, das ihm das Koasamandl beim Abschied zugesteckt hatte mit den Worten: „Damit du den Koasa und uns nit vagisst.“
Aus der Gruttenhütte kamen ihm seine Freunde mit ungläubigem und erleichtertem Ausdruck entgegengelaufen und wollten wissen, wie er das Unwetter überstanden hatte. Doch der Toni brauchte eine Weile, um das Erlebte zu verdauen, schweigend marschierten sie hinunter nach Ellmau.
Erst als sie noch einen Abstecher zum Steinkreis in der Nähe der Wochenbrunner Alm machten, fand er die Worte, um den Bergkameraden von seiner wundersamen Rettung zu erzählen. Das Koasamandl hat der Toni nie vergessen, doch so sehr er auch nach ihm Ausschau hielt, wenn er später wieder einmal im Wilden Kaiser unterwegs war - es hat sich ihm nie wieder gezeigt.
So liebe Leut, hört die Moral von der Geschicht: Bist du am Berg, überschätz‘ dich nicht!
Von Sabina Moser nach einer Idee von Peter Moser.
*Anmerkung: Die Babenstuber Hütte ist ein Notbiwak. Nächtigen ist dort nur im Zuge von alpinen Notfällen gestattet.
Die Filmemacherin, Buchautorin und ehemalige Journalistin kümmert sich in Ellmau um die Chronik und Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde. Dabei fotografiert die gebürtige Kitzbühelerin auch leidenschaftlich gerne. Besonderen Spaß hat es ihr gemacht, alten Legenden aus den Gemeinden am Wilden Kaiser nachzuforschen und sich dazu Geschichten auszudenken, die sie nun als „Neue Sagen vom Wilden Kaiser“ veröffentlicht.