What I do? 𝗡𝗮𝗰𝗵𝗵𝗮𝗹𝘁𝗶𝗴𝗲 𝗥𝗲𝗴𝗶𝗼𝗻𝗮𝗹𝗲𝗻𝘁𝘄𝗶𝗰𝗸𝗹𝘂𝗻𝗴 ♡ Für und mit Menschen aus der Region #einfachweiterdenken #gemeinsamstark #projektsbykatie
Alle BeiträgeZahlreiche Legenden und Geschichten, Erstbesteigungen und grausame Schicksale, ranken sich um das Gebirge zwischen Kufstein und Kitzbühel. Eines hat der Berg seit Urzeiten nie verloren – seine magische Ausstrahlung auf seine Bezwinger und Bewunderer.
Die ersten Eindringlinge und damit Erschließer des Wilden Kaisers waren wohl die ursprünglichen bäuerlichen Menschen – Jäger und Wildschütze, Senner und Schäfer. Als die Berge für sie noch befremdlich anmuteten und durch ihr empor ragen mehr zum Himmel als zur Erde zählten, wurden die Geschichten des Kaisers mündlich an Wirtshaustischen, in Bauernstuben und am Almfeuer erzählt. Lange vor dem Einzug der ersten Touristen im 19. Jahrhundert hatten lokale Pioniere wahrscheinlich längst die Gipfel des gewaltigen Bergmassives erklommen.
Ein gewisser makaberer Kriegstourismus war es, der die ersten Touristen in das Heilige Land Tirol lockte. Der Mythos des wehrhaften und freiheitsliebenden, aber „primitiv-naiven“ Bauern, der sich wie David gegen Goliath, gegen Napoleon und Bayern auflehnte, war Anlass genug, um auf den Spuren Andreas Hofers und des regionalen Freiheitskämpfers Rupert Winterstellers zu reisen. Die meisten Tiroler waren sich hingegen der historischen, geschweige denn touristischen Dimension dieses Aufstandes noch nicht bewusst. So wohl auch Michael Soyer, ein Schafhirte und Bauernknecht aus Going. Er war ein gefürchteter Raufbold und verwegener Bergsteiger. Wenn am Samstag Touristen nach ihm fragten, zog es den bärenstarken „Steinackerer“, wie ihn die Leut‘ im Tal nannten erst einmal an den Wirtshaustisch, wo er sich für drei Gulden Führertaglohn vollsoff, erst dann war er für die Sonntagstour ansprechbar. Ob es der Mut war, den er sich antrinken musste oder seine Einstellung, dass alles was in der Welt geschehen würde ohnedies durch das Schicksal bestimmt sei, sei dahingestellt. Er zählte ohne Frage zu den Pionieren der Kaiser-Bezwinger. 1881 gelang ihm, die schriftlich festgehaltene, Erstbesteigung des Totenkirchls, das noch heute zu den berühmtesten, wenn auch gefürchtetsten Gipfeln des Wilden Kaisers zählt.
Glaube und Aberglaube gingen zu jener Zeit Hand in Hand. Und noch bis ins 18. Jahrhundert herrschte die Vorstellung, dass Fabelwesen, Dämonen, Drachen, Teufel und Hexen zwischen den Gipfeln des Wilden Kaisers ihr Unwesen trieben. Von der Existenz solch unheimlicher Gestalten schien lange nicht nur die Alpenbevölkerung überzeugt, auch akademisch Gebildete berichteten darüber. Diese „terra incognita“ wurde von der katholischen Kirche, selbst in Zeiten der Aufklärung, als mahnende und hässliche Ruine des Paradieses und zugleich als Symbol des Gotteszornes, verursacht durch die Sündhaftigkeit des Menschen, gesehen. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade ein junger Geistlicher, nämlich Carl Thurwieser, Müllersohn aus dem Tiroler Kramsach, ein paar Jahrzehnte später über seine alpinen Erlebnisse folgendes zu berichten wusste: „[...] denn meine Absicht bei Bergreisen ist es und wird sein 1. Die bisherige Tätigkeit meiner Natur zu erhalten, 2. Die Herrlichkeit der Werke Gottes zu bewundern, 3. Mich gründlich aufzuheitern und zu erholen. […]“ Nichtsdestotrotz umranken bis heute zahlreiche Sagen die Gipfel und Almen des Wilden Kaisers.
Während Carl Thurwieser dem Ideal eines „zweckfreien Alpinismus“ folgte, und wenn es nach dem britischen Historiker und Alpinisten William Augustus Brevoort Coolidge ginge, als „erster echter Bergsteiger“ gesehen werden müsste, gingen viele Gelehrte, vor allem Botaniker, einem anderen Zweck nach. Dem gleich, auf den Spuren des äußerst seltenen Moos- oder Erdglöckchens machten sich, wiederum aus der Region, ein Hilfspfarrer und ein Uhrmacher. Aber auch die Geologen kamen auf den Geschmack des Kaisers. Er bildete einen dieser weißen Flecken auf der Landkarte, mit dessen geografischer Erforschung man noch wissenschaftliche Reputation erwerben konnte.
Gerade die Engländer waren es, die 1857 mit der Gründung des British Alpine Clubs den ersten alpinen Verein der Welt aus der Taufe hoben. Dieser elitäre Zirkel von wohlhabenden und gebildeten „Gentlemen-Alpinisten“ begann nun, nachdem ihm in den Westalpen allmählich die Ziele ausgingen, seinen Aktionsradius in die Ostalpen und somit auch auf das Gebiet des Wilden Kaisers auszuweiten. Damals waren es die von den Briten mitgebrachten Schweizer Bergführer, die Gipfel um Gipfel der heimischen Bergwelt gemeinsam mit ihren Auftraggebern eroberten und von den Tirolern nur kopfschüttelnd geduldet wurden. Dies musste anders werden! 1862 folgte die Gründung des Österreichischen Alpenvereins, der jedoch vorwiegend den wissenschaftlichen Charakter des Bergsteigens in den Vordergrund schob. Karl Hoffmann, einem Münchner „Wildling“ aus gutem Hause, war dies zu wenig. Gemeinsam mit Gleichgesinnten aus dem Ötztal, aus Prag und Innsbruck initiierte er die Sektion München und damit die praktische Herangehensweise an die Eroberung und Erschließung des Kaiser Gebirges, diesmal unter Geleit des einheimischen Bergführers Mall-Hansl. Nur ein Jahr später starb der junge Hoffmann in der Schlacht von Sedan im französisch-deutschen Krieg. Wiederum war es ein Krieg der indirekt auf den Tourismus der Alpen wirkte. Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und einem daraus verbundenen imposanten Wirtschaftswachstum folgte eine deutsche Tourismuskonjunktur. Der Alpenverein profitierte von dieser Entwicklung und Sektionen bildeten sich in vielen deutschen Städten.
Vor allem die Münchner hielt der Zauber des Wilden Kaisers in Bann. Georg Winkler, wiederum ein Münchner, bestieg im zarten Alter von 17 Jahren, alleine, ohne Bergführer und unüblich für die damalige Zeit als dritter Erklimmer das Totenkirchl. Bekanntlich führte ein Alleingeher außer Schuhe und Kleidung nur wenig Material mit sich. Winkler trug neben genagelten Bergschuhen noch Steigeisen. Kletterschuhe wurden zu dieser Zeit jedoch immer populärer und alsbald bei Seilermeister Heinrich Schwaiger gemeinsam mit den ersten Kletterführern über das Kaisergebirge in seinem Bergsportfachgeschäft in der Bayerischen Hauptstadt verkauft. Mit Georg Winkler kam auch ein neues sportives Selbstbewusstsein unter die eingesessene ältere Bergsteigerelite. Eine alpine Avantgarde, die nicht mehr den leichtesten Weg auf den Gipfel suchte, sondern sich bewusst an immer steilere und gefährlichere Routen im Fels wagte. Die Berge wurden zur Wettkampfarena sportlicher Eitelkeit. Zahlreiche Erstbesteigungen unter widrigsten Bedingungen fallen in diese Zeit. Mit dem neuen Verständnis häuften sich auch die Unfälle. Damals hantelten sich die Kletterer mit bloßen Händen am Seil hinunter. Verließ einen die Kraft, hatte dies schlimmste Konsequenzen. Detaillierte Absturzberichte in der Münchner Tagespresse sollten bewusst abschrecken und leichtsinnige Aspiranten vom zum Modeberg avancierten Totenkircherl fernhalten. Doch das Gegenteil war der Fall. Vielmehr befeuerten diese Meldungen den Mythos Wilder Kaiser. Die Bezeichnung als „the Great German School of Climbing“ wie das American Alpin Journal 1932 den Wilden Kaiser bezeichnete, zeigte vom hohen Ansehen des Gebietes in der Welt. Für Generationen von Bergsteigern war die Region tatsächlich eine Art Hochschule des Kletterns, in der neue Techniken entwickelt und erprobt wurden.
Mit der Zeit kam auch das Sicherheitsverständnis in die Kletterwelt zurück. Neues Gerät, wie Karabiner, Fiechtlhaken und Seiltechniken wurden ausprobiert und ein weitläufiges Wegenetz in den Berg gehauen. Obwohl anfangs als „Verschandelung der Bergwelt“ abgetan, war die neue Eroberung nicht mehr aufzuhalten. Mit enormem Zeit- und Materialaufwand begann man Haken und Seile im Fels zu befestigen. Kurz davor um die Jahrhundertwende hatte auch die Dichte der Hütten stark zugenommen, so entstanden Gaudeamushütte und Gruttenhütte nahezu gleichzeitig. Nun begann man die Hütten im Kaisergebirge miteinander zu verbinden. Dies zeichnete den Anfang des modernen Alpinismus am Wilden Kaiser und mit ihm Hand in Hand setze ein neues Zeitalter im alpinen Tourismus ein. Nachdem über viele Jahrzehnte das Klettern im Vordergrund gestanden hatte, war nun auch die Sommerfrische im Tal en vogue. Die Schrecken und Gefahren aus den frühen Anfängen am Wilden Kaiser schienen vergessen. Was geblieben ist, ist der Mythos des Gebirges und die unausweichliche Anziehungskraft des Berges. Man sagt, er, der Wilde Kaiser, strahle eine ganz besondere Energie aus, eine Energie die das Unmögliche möglich mache, auch heute noch viele Jahrhunderte später.