© Hubert Praschberger
Ausbildung am Wilden Kaiser

Wie wird man eigentlich Bergführer*in?

von Theresa Aigner Erstellt am 14. Oktober 2021

für Adrenalin Junkies für Outdoor-Begeisterte für Kraxler*innen

Der Wilde Kaiser ist ein perfekter Ausbildungsort für zukünftige Bergführer*innen – kein Wunder, dass jedes Jahr im Herbst der Ausbildungsteil „Felsklettern I“ hier stattfindet. Wir durften den langjährigen Leiter des Kurses, Bergführer und Wilder Kaiser „Local“ Hubert Praschberger und die angehenden Bergführer*innen einen Nachmittag lang begleiten.

Ob Kopftörlgrat, Ellmauer Halt oder Klamml-Klettersteig: Wer am Wilden Kaiser eine dieser Touren erleben möchte und selbst nicht über die nötige alpine Erfahrung verfügt, braucht professionelle Begleitung. Wer dafür in Frage kommt ist klar: Ein Bergführer oder eine Bergführerin. Denn sie bringen sowohl das Wissen, die Erfahrung und vor allem die nötige Ausbildung mit, um ihren Gästen nicht nur ein beeindruckendes, sondern auch sicheres Erlebnis am Berg zu bieten. Aber: Wie wird man eigentlich Bergführer*in? Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, was lernt man im Rahmen der Ausbildung? Wann darf man sich mit Gästen auf den Berg begeben? Und was ist eigentlich der Unterschied zu Wanderführer*innen, mit denen man Wilden Kaiser ebenfalls Touren unternehmen kann?

„Da gibt es eine ganze einfache Unterscheidung. Wanderführer*innen dürfen mit ihren Gästen Touren auf roten Bergwegen unternehmen. Führt die Tour über einen schwarzen Bergweg, brauche ich einen Bergführer oder eine Bergführerin“, erklärt einer, der darüber bestens Bescheid weiß: Hubert Praschberger. Er ist nicht nur selbst Bergführer und „Wilder-Kaiser-Local“, sondern auch Ausbildner für die nächste Generation an Bergführer*innen. Seit 2008 leitet er den Ausbildungsteil „Felsklettern I“, der immer im September am Wilden Kaiser stattfindet. So auch im Herbst 2021. Dabei ist es diesmal Huberts letzter Einsatz im Rahmen der Bergführerausbildung: „Mit 55 ist es für mich langsam Zeit, diese Aufgabe an die nächste Generation zu übergeben.“ Auf die hinter ihm liegende Woche mit den angehenden Bergführer*innen blickt er insofern „mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück“, erzählt Hubert beim Gespräch in der Herbstsonne im Klettergarten Achleiten.

Hier darf ich am vorletzten Tag der Ausbildungswoche am Wilden Kaiser „Mäuschen“ spielen und unter anderem dabei zuschauen, wie die Teilnehmer*innen ihre Prüfung im Bereich „Bergrettung“ ablegen. Denn auch Rettungs- und Bergetechniken muss ein Bergführer/eine Bergführerin beherrschen.

Am Nachmittag, nachdem die meisten die Prüfung schon hinter sich haben, entspannt sich die Stimmung unterhalb der steilen, sonnigen Wände im Achleitner Klettergarten zusehends. Es wird gejausnet, geplaudert und einige der Kursteilnehmer*innen erzählen mir, warum sie sich für die anspruchsvolle Ausbildung entschieden haben. (Dabei ist es keineswegs so, dass der Entschluss ausreichen würde: Wer die Ausbildung zum/zur Bergführer*in machen möchte, muss nicht nur ein umfassendes Tourenbuch vorlegen, sondern auch die extrem selektiven Aufnahmeprüfungen zur Ausbildung schaffen.)

Rollenbilder im Bergsport

Susi ist eine der rund 30 Kursteilnehmer*innen. Sie hat die Bergrettungsprüfung – bei der u.a. die Rettung eines bewusstlos am Seil Hängenden simuliert wurde - ohne Probleme geschafft und erzählt, dass sie Ski- und Kletterlehrerin ist. Sicher eine gute Voraussetzung, denn beides gehört auch zu Ausbildung und Berufsbild einer Bergführerin. Die 30-jährige Vorarlbergerin ist gemeinsam mit Sofia eine von zwei Frauen, die in diesem Jahrgang unter den Auszubildenden ist. „Es gibt immer mehr Frauen im Bergsport, das ist schon sehr erfreulich“, sagt Susi. „Ich finde Entwicklungen, wie jene, dass es inzwischen einen eigenen Expedkader* für Frauen gibt sehr gut und wichtig“, fügt sie hinzu. Auch Hubert bestätigt das Gefühl, dass hier etwas im Wandel ist: „Es bricht – wenn auch langsam – auf.“ Auffallend sei für ihn als Ausbildner, dass Frauen, die an der Ausbildung teilnehmen oft intensiver und besser vorbereitet wären, als ihre männlichen Kollegen.

Dass die Themen Gleichberechtigung, Geschlechterverhältnisse, Rollenbilder und Vorurteile im Bergsport keineswegs nur Frauen, sondern alle angehen, wird im Gespräch mit einem anderen Kursteilnehmer deutlich. David (31) kommt ursprünglich aus Linz, lebt in Wien und hat erst kürzlich einen Artikel zu diesem Thema publiziert: „Ich bin grundsätzlich ein politischer Mensch, insofern hinterfrage ich auch Traditionen und Normen, die sich über die Jahrzehnte im Bergsport gebildet haben.“ Dass es gerade im Bergsport oft Bewunderung einbringe, der „Härteste, Mutigste, Risikofreudigste“ zu sein, stört David. „Jede und jeder hat das Recht sich entsprechend seiner/ihrer Möglichkeiten am Berg zu bewegen und das zu genießen.“ Dass Frauen allein schon deshalb, weil die sogenannte „Care-Arbeit“ (Anm.: Kinderbetreuung, Pflege, Haushalt, etc..) nach wie vor zum größten Teil an ihnen hängen bleibt, oft gar nicht die Möglichkeit hätten so viel Zeit in ihre Entwicklung am Berg zu stecken wie Männer, sei nur ein Aspekt von vielen, der für Ungleichheit im Bergsport sorge. „Etwa in der Arbeit mit Jugendlichen beim Alpenverein sehe ich meine Aufgabe schon auch darin, zur Überwindung dieser Unterschiede beizutragen und die Berge allen, die es wollen, zugänglich zu machen. Und auch als Bergführer, kann man durchaus zeigen, dass es nicht nur diesen 'männlichen' Zugang - härter, stärker, riskanter, etc. – gibt.“

Was macht einen/eine gute Bergführer*in aus?

Wie reflektiert David den Bergsport und die eigene Rolle dabei betrachtet ist nicht selbstverständlich – aber sicher eine der besten Voraussetzungen, um einem wesentlichen Kriterium, das man als Bergführer*in erfüllen sollte, gerecht zu werden. Die Rede ist von der Leidenschaft für die Arbeit mit Menschen. „Ein Bergführer muss gut mit Menschen umgehen können und Spaß daran haben, sie zu führen“, sagt Hubert auf meine Frage, welche Fähigkeiten ein guter Bergführer/eine gute Bergführerin mitbringen muss. Abseits des technischen, versteht sich.

Für Stephan, der aus Ellmau kommt und somit „Local“ bei diesem Ausbildungsteil ist, war genau das einer der Gründe, die ihn schlussendlich dazu bewogen haben, die Ausbildung als Bergführer mit 38 anzugehen. „Ich bin selbst leidenschaftlich am Berg unterwegs und fast 20 Jahre bei der Scheffauer Bergrettung aktiv. Die Bergführerausbildung zu machen war immer wieder Thema – aber das ‚Machtwort‘ hat schlussendlich meine Frau gesprochen und jetzt bin ich hier. Wir haben zwei Kinder und da muss so eine Entscheidung gemeinsam getroffen werden, die Ausbildung ist ja schon sehr zeit- und kostenintensiv“, sagt Stephan, der als KFZ-Mechaniker-Meister in der Region arbeitet. „Früher bin ich ganz viel mit meiner Frau gegangen, generell bin ich nicht der Typ, der sich bei allen Touren ständig ans eigene Limit bringen muss. Ich bin auch sehr gerne mit ‚Schwächeren‘ unterwegs, mir macht es Freude wenn ich sie am Berg sicher führen kann.“

Dass Stephan den Wilden Kaiser besonders gut kennt, ist ihm bei diesem Ausbildungsteil natürlich zu Gute gekommen. Denn wie der Name „Felskurs“ schon sagt, wurden im Laufe der Woche auch einige Klettertouren am Wilden Kaiser unternommen. „Da hatte ich bei der Orientierung im Gelände natürlich keine Probleme, da ich mich sowohl durch meine privaten Touren wie auch durch meine Tätigkeit als Bergretter sehr gut auskenne.“ So haben die angehenden Bergführer*innen unter anderem den berühmten Kopftörlgrat, die Predigtstuhl-Westverschneidung, den Fleischbank-Nordgrat und manche auch die Schneeloch-Umrahmung gemacht. Bei allen Touren stand das gegenseitige Führen, oftmals am „kurzen Seil“ im Vordergrund – dass die Teilnehmer*innen die nötigen klettertechnischen Fähigkeiten mitbringen, versteht sich von selbst bzw. wurde schon an anderer Stelle überprüft.

Führungstechnik, Tempo und Sicherheit

„Der Wilde Kaiser eignet sich mit seinen wunderbaren Graten perfekt, um das Führen am kurzen Seil zu üben“, sagt dazu auch Ausbildner Hubert Praschberger. Zur Erklärung: „Am kurzen Seil führen“ bedeutet, dass der/die Bergführer*in den Gast direkt hinter sich am Seil führt – ohne dabei über einen Bohrhaken oder einen anderen fixen Stand selbst gesichert zu sein. Dementsprechend ist diese Art der Führung für Bergführer*innen eine der riskantesten Aufgaben: Stürzt der Gast, kann er auch den/die Bergführer*in mit sich reißen. Aber auch Tempo und Sicherheit – sowohl beim Gehen, Klettern wie auch beim Abseilen - sind Aspekte, die bei den gemeinsamen Touren im Gelände von Hubert und seinen 9 Ausbildner-Kollegen, die den Kurs mit ihm durchführen, überprüft werden. Aber nicht nur am Fels muss man sich beweisen: Auch ein „Lehrauftritt“ muss absolviert werden – dabei zeigen die Kandidat*innen, dass sie auch die für den Beruf nötigen kommunikativen Fähigkeiten besitzen. So kann die Aufgabe zb. lauten, seinen Gästen zu erklären, wie sie in einer alpinen Mehrseillänge einen Standplatz bauen. Stellt sich bei einem der theoretischen oder praktischen Lehrinhalte heraus, dass jemand den hohen Anforderungen nicht gewachsen ist, wird er/sie nach Hause geschickt.

Unterschiedliche Wege führen zur Ausbildung

Wie alt jemand ist, aus welchem Bundesland oder aus welcher Bergsport-Disziplin er/sie ursprünglich kommt, hat keinen Einfluss darauf, ob man zur Ausbildung zugelassen wird. „Der Großteil der Auszubildenden ist knapp unter 30, aber es gibt auch Teilnehmer die um die 40 oder darüber sind. Jedes Alter hat seine Vorteile – bei den Älteren ist es definitiv die Lebenserfahrung“, sagt Hubert. Und auch bei meinem Besuch stelle ich fest: So unterschiedlich das Alter der Teilnehmer*innen, so unterschiedlich ihre (beruflichen) Hintergründe bzw. bisherigen Lebenswege. Während mir ein recht junger Teilnehmer erzählt, dass sein Wunsch Bergführer zu werden daher rührt, dass es für ihn selbst ein nachhaltig begeisterndes Erlebnis gewesen sei, von einem Bergführer geführt worden zu sein, erzählt mir ein anderer, dass er schon seit Kindheitstagen immer mit seiner Familie am Berg unterwegs war und sich der Berufswunsch über Jahre verfestigt hat.

Oder Sofia (37), die zweite weibliche Teilnehmerin, die wie Susi ausgebildete Ski- und Kletterlehrerin ist und auch die Ausbildung zur Wanderführerin gemacht hat. Wie viele andere kommt sie aus Tirol, was zwar keineswegs eine Voraussetzung, aber schon ein bisschen auffällig ist. So sind einige der Teilnehmer*innen zwar nicht in Tirol aufgewachsen – die Leidenschaft für den Bergsport hat aber so manchen hierher ziehen lassen. Wie etwa Stefan (37), der zwar aus Niederösterreich kommt, aber schon seit seinem Studium als Programmierer und Wissenschaftler in Innsbruck lebt und arbeitet. Auch Hubert hat eine Theorie zum hohen Tiroler*innen-Anteil: „In Tirol gibt’s halt genug zu tun für Bergführer*innen“, sagt er schmunzelnd.

Und damit hat er recht, zu tun gibt’s wahrlich genug, das weiß man auch am Wilden Kaiser. Die Führungsaufgaben sind dabei vielfältig. Hubert führt am Wilden Kaiser (und natürlich auch an vielen anderen Bergen) anspruchsvolle Klettertouren genauso, wie verhältnismäßig einfache Gipfeltouren – die für viele Gäste aber durchaus große Herausforderungen darstellen und nur in Begleitung eines Bergführers sicher absolviert werden können. Er mag das Eine genauso wie das Andere: „Für mich macht es die Mischung aus. Wenn ich tagelang schwierige Klettertouren führe, freue ich mich auch, wenn ich dann auch wieder mal mit Gästen auf einen einfacheren Gipfel wandere.“ Und: Die Führungsaufgaben verändern sich auch mit den Jahreszeiten: Geht es in den warmen Monaten ums Bergsteigen und Klettern, dreht sich im Winter alles ums Skitourengehen und Eisklettern. Beides ist Voraussetzung um zur Ausbildung zugelassen zu werden und wird auch im Rahmen der insgesamt 3-jährigen Ausbildung trainiert. Dass nicht allen Teilnehmer*innen alles gleich gut liegt kann man nachvollziehen – um die Ausbildung zu meistern, muss aber jede Prüfung bestanden werden.

Die Kursinhalte der Ausbildung

Dementsprechend setzt sich auch die Ausbildung aus zahlreichen, unterschiedlichen Kursen zusammen, die miteinander die gesamte Palette des alpinen Bergsteigens in Theorie und Praxis umfassen. Hier ein grober Überblick, welche Inhalte in den einzelnen Kursen gelehrt bzw. geprüft werden: Sportklettern, Felsklettern, Eisklettern, Hochtouren, Skitechnik, Skitouren, Skihochtour, Freedriden, eine 9-tägige Skihochtouren-Durchquerung und vieles mehr. Dabei gliedert sich die Ausbildung in mehrere Abschnitte, dazu gehört auch, unter Beaufsichtigung Praxiserfahrung zu sammeln, also gemeinsam mit fertigen Bergführer*innen zu führen. Ganz am Schluss steht die Abschlussprüfung in Chamonix.

Mit Bergführer*in auf die Gipfel des Wilden Kaisers

Wer bis zum Ende dieses Beitrags gelesen und sich zur nächsten Tour am Wilden Kaiser mit einem Bergführer bzw. einer Bergführerin am Weg macht, weiß nun, wie umfassend und anspruchsvoll die Ausbildung ist, die sie durchlaufen haben, bevor sie euch auf die Gipfel des Wilden Kaisers führen dürfen. Hier findet ihr eine Übersicht über alle Bergführer (aktuell gibt es leider keine weiblichen Führerinnen vor Ort) der Region. Und wer gerne eine Tour mit einem/einer der angehenden Bergführer*innen, die im Rahmen dieses Beitrags portraitiert wurden, unternehmen würde: Sie sind planmäßig im Sommer 2023 mit ihrer Ausbildung fertig und kommen sicher auch gerne einmal zum Wilden Kaiser zurück, um hier selbst mit Gästen unterwegs zu sein.

* Der „Expeditionskader“ des Deutschen Alpenvereins (DAV) verfolgt das Ziel, junge Nachwuchs-Alpinist*innen zu fördern und im Rahmen einer mehrjährigen, umfassenden Ausbildung, die ihren Abschluss in einer gemeinsamen Expedition findet, zu Spitzenleistungen im Bergsteigen zu führen. Seit 2011 gibt es einen eigenen Expedkader für Frauen, der schon viele starke Alpinistinnen hervorgebracht und sicher auch dazu beigetragen hat, dass sich seither die Anzahl der Bergführer*innen in Deutschland verdoppelt hat. Rund 90 Prozent aller deutschen Bergführerinnen sind Absolventinnen des DAV-Expeditionskaders.

Theresa Aigner

Als gelernte Journalistin freut sich die ehemalige Presse-Verantwortliche der Region Wilder Kaiser immer, wenn sie einen Beitrag für unseren Blog gestalten darf. Egal ob Bergsport, Kulinarik, Politik oder Kultur – diese Frau hat zu jedem Thema tausend Fragen und stellt sie schon mal in einer Geschwindigkeit, dass ihren Gesprächspartner*innen hören und sehen vergeht. Nur gut, dass Theresa die vielen Gespräche mit interessanten Menschen aus der Region am liebsten schriftlich dokumentiert – und hier genug Platz zum Teilen hat.

Alle Beiträge

1 Kommentar(e)

HUBERT PRASCHBERGER

14.10.2021 - 20:28 Uhr

Danke Theresa für den authentischen Beitrag. Besser könnte man es nicht in Worte fassen. Hubert - Club Vertikal

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. *Pflichtfelder

Benachrichtige mich über neue Beiträge via E-Mail.

* Diese Seite wird durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen treffen zu.

Neuer Textbereich...

Das könnte Dich auch interessieren

60 Jahre Bergrettung Scheffau Söllandl

60 Jahre Bergrettung Scheffau Söllandl

Kein Handy, kein Funk, kein Hubschrauber - dafür Hanfseile und und ein Steyr-Puch Haflinger: In den 60 Jahren ihres Bestehens hat sich im Bergrettungswesen allerhand verändert, erzählt Ortsstellenleiter Christian Treichl.

von Theresa Aigner - 30. November 2023